Existenzgeld, Bedingungsloses Grundeinkommen, Bürgergeld…

Diskussionsveranstaltung am Dienstag, 28.Mai 2019, 19.30 Uhr
Mieterpavillon, Friedrich-Naumann-Str.7

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Zeitschrift der Westberliner Haschrebellen, Anfang der 1970er

Ein sicheres Einkommen ohne Arbeit – wer könnte da schon „nein“ sagen?? Seit Jahren geistert immer wieder die Idee eines steuerbasierten Grund-einkommens durch das Land. Jede und Jeder soll unabhängig von den Zwängen des Marktes und der Drangsalierung durch die staatliche Arbeitskräfte-verwaltung ihr/sein (Über-)Leben garantiert bekommen.
Linke begründeten vor 40 Jahren die Notwendigkeit eines sog. Existenzgeldes mit der Erwartung technologischer Rationalisierung und nachfolgender Massenarbeitslosigkeit bei gleichzeitig enormem gesellschaftlichen Reichtum:

Uns eint, dass wir wissen: Angesichts einer Rekorderwerbslosigkeit von vier Millionen Menschen und einer massenhaften „Unterbeschäftigung“ von weiteren Millionen sind radikale Lösungen nötig, ohne der Illusion aufzusitzen, die Erwerbslosigkeit beseitigen zu können. Und das Existenzgeldkonzept ist eine einfache, aber zugegeben radikale Lösung und für uns ein Schritt zu mehr Gerechtigkeit.“ (Bundesarbeitsgemeinschaft der Erwerbslosen- und Sozialhilfeinitiativen BAG-SHI – siehe Link)

Unternehmer dockten Jahre später an den Gedanken struktureller Massenarbeits-losigkeit an; einige meinten, ein garantiertes Grundeinkommen würde die Kreativität der Arbeitskräfte freisetzen und ihnen ermöglichen, vor allem in wenig rationali-sierungsfähigen Bereichen „Beschäftigung“ statt Lohnarbeit zu finden und sich so verwirklichen zu können, etwa in der Pflege, Kinderbetreuung oder der Öffentlichkeit dienenden Tätigkeiten:
Weil ich ein Mensch bin, habe ich ein ganz grundlegendes Menschenrecht. Mein Menschenrecht ist zu leben. Und erst wenn ich leben kann, kann ich auch arbeiten. Das Grundeinkommen ermöglicht die Arbeit. Das ist der entscheidende Punkt dabei. Mit einem BGE wird nicht die Arbeit bezahlt, sondern es ermöglicht sie erst.“ (Der Boss der Drogeriekette DM, Goetz Werner in einem Interview im Juli 2018 – siehe Link)

Werner vertritt eine Variante, in der alle Sozialversicherungen durch das sog. Bedingungslose Grundeinkommen (BGE) ersetzt und dieses allein durch massiv erhöhte Verbrauchssteuer finanziert werden soll. Damit werden vor allem die Arbeitgeber entlastet, da sie keine Beiträge zu Arbeitslosen-, Kranken- und Rentenversicherung zahlen müssten. Andere unternehmensnahe Grundeinkommensideen setzen auf die negative Einkommenssteuer, bei der ein pauschaler Einkommenssteuersatz festgelegt und bei Lohnbezug die fällige Einkommenssteuer mit dem jedem zustehenden Bürgergeld verrechnet würde.

Das Bürgergeld verstößt gegen die Gerechtigkeit, weil die Gerechtigkeit verlangt, Gleiches gleich und Ungleiches ungleich zu behandeln. Bürgergeld und Kopfpauschale dagegen behandeln Ungleiches gleich. Der Chauffeur und sein Chef zahlen die gleiche Pauschale und erhalten das gleiche Bürgergeld. Das widerspricht allem, was ein der gesunde Menschenverstand unter Gerechtigkeit versteht.

Das hat zwar der frühere Bundesarbeitsminister Norbert Blüm (CDU) gesagt, doch einiges an seiner Argumentation ist sicher nach wie vor interessant („Grundeinkommen: Wahnsinn mit Methode“, in: DIE ZEIT, 19.04.2007 – siehe Link)
Blüm ging es um zweierlei: Zum einen um den Erhalt des Sozialstaates als Garant für individuell erarbeitete Versicherungsleistungen. Zum anderen aber sah er die Gefahr voraus, dass der Staat niedrige Löhne staatlich subventioniert („Auf die unteren Lohngruppen muss fortan in den Unternehmen nicht mehr geachtet werden. Der Staat bezahlt einen Mindestlohn“) und so den Unternehmern Geld sparen hilft, während die Bezieher solcher Löhne plusminus Null hätten.

Die in den letzten Jahren auf den politischen Tisch gelegten Modelle zielen in erster Linie auf die Verbilligung des „Faktors Arbeit“ für die Unternehmen und fügen sich damit in den neoliberalen Wettlauf ein. Durch die deutlichen Einschränkungen von Sozialversicherungsleistungen bei Krankenversicherung und Rente sowie die Ersetzungen der früheren Arbeitslosenhilfe durch Hartz IV als staatliche Grundsicherung sind die Weichen gestellt.

Wir wollen in unserer Veranstaltung mehrere kursierende Modelle eines Bürgergeldes vorstellen. Auf dieser Grundlage wollen wir diskutieren; weniger über ihre konkrete „Bezahlbarkeit“, sondern über

… den Zusammenhang zwischen Sozialpolitik und Arbeit(markt) / Sozialleistungen und Löhnen: Können und sollen staatliche Sozialleistungen sinkende Löhne ausgleichen?

… die Anspruchsbasis für ein solches Existenzgeld: Käme tatsächlich jede/r – z.B. auch MigrantInnen – in den Genuss solcher Transferleistungen?

… unsere eigenen Vorstellungen darüber, wie gesellschaftliche Gerechtigkeit erreicht werden könnte.
Zum Weiterlesen:
Darstellung verschiedener Modelle des Grundeinkommens: Bundeszentrale für Politische Bildung: „Grundeinkommen?“; Ausgabe 51 / 52 „Aus Politik und Zeitgeschichte“ – siehe Link

Liste mit Positionen von Parteien, Kirchen u.ä. Organisationen zum Grundeinkommen beim Netzwerk Grundeinkommen Hamburg – siehe Link

Kritische Bewertungen des Grundeinkommens:
Ralf Krämer: „Eine illusionäre Forderung und keine soziale Alternative – Gewerkschaftliche Argumente gegen das Grundeinkommen“, Oktober 2018 – siehe Link

Christoph Butterwegge: „Das bedingungslose Grundeinkommen: Basiselement eines Sozialstaates 4.0? Die Risiken und Nebenwirkungen eines Systemwechsels in der Wohlfahrtspolitik“ – siehe Link