In vielen Branchen laufen zur Zeit tarifliche Streikkampagnen. Die mittlerweile abgeschlossenen Tarifverträge pendeln sich bei Erhöhungen um die 5% plus vom Staat und den Sozialversicherungen subventionierte Einmalzahlungen ein. Gerade für die wenig Verdienenden ist das zu wenig, um die enorm gestiegenen Lebenshaltungskosten auszugleichen. Einen „Wohlstandsverlust“ nennt das die Politik…
So wenig, wie explodierende Gewinne von Energie- und Rüstungskonzernen „Zufallsgewinne“ sind, ist Verarmung eine „Zufallsverarmung“. Die Politik will die grundsätzliche Krise der neoliberalen Gesellschaft auf dem Rücken der lohnabhängigen Bevölkerung lösen. Daher sehen wir in den letzten Jahren eine zunehmend autoritäre Politik im Namen immer häufigerer Notstände.
Erklärungsbedürftig ist allerdings, dass keine Streikbewegung sichtbar ist, die sich gegen die politischen Rahmenbedingungen richtet, trotz einer hoch politisierten Stimmung, z.B. gegen die autoritäre Corona- Politik der letzten drei Jahre und die deutsche Kriegsbeteiligung inklusive Energieboykott und sonstige Sanktionen gegen Russland.
Warum ist das so? Es hat damit zu tun, dass es der deutschen politischen Klasse gelungen ist, ihre Art der Krisenbewältigung in einen hoch moralisierenden Diskurs zu verpacken, der tiefgreifende Auswirkungen auch innerhalb der Belegschaften hinterlassen hat. Um beizutragen, die Konflikte auf und um die Arbeit wieder mit den Konflikten um die politische Gestaltung der Gesellschaft zusammenzubringen, wollen wir die Auswirkungen der militarisierten Innenpolitik auf die Arbeitswelt diskutieren. Als Hintergrund stellen wir kurz die rechtlichen und technischen Seiten des „Notstandes“ dar. Anschließend skizzieren wir, welche Tabus in den Arbeitsbeziehungen in den letzten Jahren gebrochen wurden und welche Folgen das für die Stimmung unter den Kolleginnen und Kollegen hat(te).
Wir hoffen auf eine Diskussion, wie wir, von unserer Arbeitssituation ausgehend, die beiden Seiten zusammenbringen können: den Widerstand gegen die materielle Verarmung und gegen den politischen Autoritarismus!
Einsatz der Bundeswehr im Innern: „Neues Territorialkommando: Truppenaufmarsch, Inlandseinsätze und Reformvorhaben„ IMI- Analyse Nr. 32/2022 – 23.6.2022)
Wir erleben seit drei Jahren eine „Zeitenwende“. Vieles in diese Zeit ist keine Wende im engeren Sinne, sondern eine Verschärfung der Krise der (finanz-) kapitalistischen Gesellschaft. Auch das Führen von Kriegen ist keine Wende. Die Wende findet sich vor allem im völligen Kollaps einer gesellschaftlichen Opposition, die der Gesamtheit der sozialen und politischen Probleme angemessen wäre.
Es haben sich im Laufe der letzten Jahre verschiedene Oppositionsbewegungen gebildet. Die Einschätzung, wer jeweils die soziale Basis gebildet hat und welches die Gründe für das Engagement vieler Menschen war, soll eines unserer Themen sein. Das andere Thema ist die darüber entbrannte Auseinandersetzung. Ab dem Herbst 2021 war der Vorwurf der „Querfront“ virulent gegenüber allen linken Versuchen, sich auf die eine oder andere Art positiv mit der Tatsache einer politischen Opposition auseinanderzusetzen. Vorgebracht wurde der Vorwurf von einer breiten Koalition einer grün- neoliberalen Regierung (ab Dezember 21) und einer lautstarken Fraktion innerhalb der Linkspartei und der linken Szene allgemein. Der Jour Fixe Gewerkschaftslinke Hamburg hat dazu eine Stellungnahme veröffentlicht, über die zu diskutieren wir euch einladen.
Schließlich wollen wir einen Aspekt in den Mittelpunkt stellen: Die staatliche Politik gegenüber Corona und als Partei eines Krieges hat vielfältige Konsequenzen auf die Arbeitsverhältnisse und -beziehungen sowie auf das Gefüge der staatlichen Sozialsysteme. Nicht umsonst wurde von der Politik seit Corona (!) von der Notwendigkeit einer „Kriegswirtschaft“ gesprochen. Damit wollen wir die Frage aufwerfen, in welchem Zusammenhang die staatliche „Politik“ und die „sozial- materiellen“ Bedingungen der lohnabhängigen Klasse stehen und wo Gelegenheiten für ein gemeinsames Agieren hätten liegen können oder heute noch liegen.
Einen Tag nach unserer Veranstaltung in Heimfeld wird der Jour Fixe seine Stellungnahme öffentlich diskutieren, und zwar am Mittwoch, 1.März 2023 um 18.30 Uhr im Curio- Haus, Rothenbaumchaussee 11 (im Hinterhaus)
Falls jemand Lust haben sollte, die Einladung weiterzuverteilen, freuen wir uns sehr!
Der Begriff »Zivilgesellschaft« klingt gut – nach dem Gegenteil von Militär, nach Eigeninitiative, Demokratie, Toleranz, Vielfältigkeit … Wie können wir uns erklären, dass hierzulande die lautesten Rufe nach Krieg heute im Namen eben dieser „Zivilgesellschaft“ erschallen? Unvergessen die Antwort der damaligen (1996) US- Staatssekretärin Madelaine Albright auf die Frage, ob der Tod von (nach UN- Angaben) mindestens 500 000 irakischen Kindern durch die Folgen der Sanktionen „es“ wert sei: „Ich denke, es ist eine sehr schwierige Entscheidung, aber der Preis – wir denken, der Preis ist es wert“. In Afghanistan sollte mit dem Tod von über 200 000 Afghanen die Zivilgesellschaft gestärkt werden … Heute geht es nach 1914-18 und 1939-45 wieder um unseren Schutz vor den barbarischen russischen Horden. Putin = Hitler, die russische Armee = SS, „russischer Vernichtungskrieg“ und dergleichen schrille und grenzenlose Rhetorik mehr.
Welcher Preis? Was ist „es“? Wer sind „wir“? Wer sind „die Anderen“?
– „es“ ist diffus: ein Zustand von „Moderne“, Demokratie, Freiheit, Fortschritt, Wissenschaft…
– „wir“ sind diejenigen, die diesem Pfad folgen
– „sie“ sind diejenigen, die (noch) nicht erkannt haben, dass dieser Fortschritt menschheitsgeschichtlich der einzig richtige ist.
Wähle, was dir wichtig ist: Waffen, Medizin, Wiederaufbau… Crowdfunding- Seite der ukrainischen Regierung
Eine Grundbedingung der Gesellschaft bleibt allerdings ausgespart: Die Eigentums- und die darauf aufbauenden ökonomischen Machtverhältnisse. Die an Schärfe zunehmenden gesellschaftlichen Krisen der letzten Jahre machen deutlich, dass es dabei nicht „nur“ um eine ungerechte Verteilung geht (was hilft mir bspw. die Reisefreiheit, wenn ich kein Geld habe?); es werden auch in den „Inseln des Wohlstandes“, in den Zentren der globalen Gesellschaft, politische Machtstrukturen ausgebaut und verschärft. Wurden in der sog. Migrationskrise die Außengrenzen der EU gegen Flüchtlinge weiter auf tödliche Art und Weise abgeschottet – 2015 nur kurz unterbrochen -, so haben die Regierungen in der sog. Corona- Krise die Mobilität innerhalb der EU einem politischen Regime unterworfen und an Bedingungen geknüpft, wie den Impfstatus. Der Soziologe Steffen Mau beschreibt in seinem Buch „Sortiermaschinen“ die Wandlung außenstaatlicher Grenzen in ein umfassendes Regime von flächendeckenden Mechanismen von Zugangskontrollen.
Ideologisch wird dieser Prozess von einem zunehmend identitären Freund- / Feind- Schema begleitet; auf der einen Seite entstehen politische Bewegungen, die sich mit nationalen oder religiösen Identitäten legitimieren, auf der anderen Seite steigert sich der ausschließende Charakter der (neo-)liberalen angeblich freiheitlichen Lebensweise:
Meinungsfreiheit! – aber nur für die, die unserer Meinung sind!
Freie Mobilität! – aber nur für die, die sich an unsere Regeln halten!
Demokratie! – aber nur für die, die ihrer würdig sind!
Menschenrechte! – aber nur für die, die wir als Menschen akzeptieren!
Kampnagel Hamburg lässt Künstlerinnen für Waffen werben…
Um nochmal auf den Krieg in der Ukraine zurückzukommen: Die ukrainische Medienwissenschaftlerin Olga Baysha hat kürzlich in einem Interview den Finger in die Wunde gelegt, als sie feststellte, dass die Eskalation des Konfliktes in dem Moment anfing, als die sozialen Konflikte dort 2013 / 14 nicht als solche artikuliert, sondern von den liberalen Mittelschichten als kulturelle gedeutet wurden. Eine realistische Einschätzung der sozialen Verfassung der Europäischen Union und der Auswirkungen der Integration der Ukraine in die Union gab es nicht, sondern sie wurde als Symbol für „Werte“ überhöht. Opponenten des EU- Beitritts wurden als „Moskowiter“ und kulturell rückständige Barbaren betrachtet. Daraus resultierte die bis heute bestimmende Allianz von liberal- westlichen Kräften und militanten Nationalisten.
Der wahre Zelensky: Vom prominenten Populisten zum unbeliebten Neoliberalen im Stile Pinochets
Von der anderen Seite betrachtet stimmt es ebenso, dass sich die Angst der von Privatisierungen und Ausverkauf des Landes an internationale Finanzinvestoren Bedrohten auch in erster Linie kulturell artikulierte, als Rückgriff auf eine sowjetische und / oder russische Identität. Der Prozess der neoliberalen Gesellschaftsumgestaltung führte in der Ukraine wie in vielen anderen Ländern in den Bürgerkrieg – und das ist er auch, parallel zu den geopolitischen Rivalitäten zwischen Großmächten.
„Fragen Sie ihren Nachbarn!“ (Karl Lauterbach als Lösungsvorschlag für das Problem eines verschärften Pflegenotstandes durch den Ausschluss ungeimpften Pflegepersonals)
In unserer Veranstaltung wollen wir den Bogen schlagen von der aktuell drängenden Eskalation des Krieges und seiner gesellschaftlichen Dynamik zur „Normalität“ der neoliberalen „Zivilgesellschaft“.
Um auf eine bessere Antwort auf die drängenden Fragen der Zeit zu kommen, versuchen wir, die Fallstricke zu erkennen, die darüber gespannt werden, dass jedes Herrschaftssystem sehr findig ist, Elemente oppositioneller Bewegungen in sein Handeln aufzunehmen und einzubeziehen.
Die Soziologinnen Silke van Dyk und Tine Haubner beschreiben in ihrem 2021 erschienene Büchlein „Community – Kapitalismus“ den Zerfall der Gesellschaft in identitäre „Communities“: Er ist sowohl eine von oben forcierte Folge der Auflösung traditioneller sozialer Bezüge, als auch eine Umformung einer sich von „unten“ entwickelnde Suche nach selbstbestimmten Gesellschaftsformen. Ihre Betrachtungen richten sich vor allem auf das Feld der „sozialen Dienstleistungen“, d.h. der Reproduktion der Menschen als Einzelne oder als Gruppe / Klasse.
Historisch entwickelten sich ab Ende der 60er Jahre Bewegungen sowohl gegen die bürokratischen Zwangsformen des Sozialstaates (wie etwa geschlossene Heime, ein autoritäres Schulsystem etc.) als auch gegen die alten Formen der Familie. Innerhalb dieser Bewegung gab es eine Tendenz, es „besser“ machen zu wollen, neue Formen des Gesundheitsschutzes, der Bildung etc. zu entwickeln und diese Organisationsformen als Keimzellen eines Widerstandes zu nutzen.
Ab den 80er Jahren begann der Staat, sich langsam aus vielen Bereichen des Sozialstaates zurückzuziehen und / oder sie in staatlicher Trägerschaft marktwirtschaftlich zu organisieren. Nun fing die Debatte um den „Neoliberalismus“ als neue Phase des Kapitalismus an. Gemeinhin wurde wahrgenommen, dass diese Phase davon gekennzeichnet sei, dass alle Lebensbereiche „vermarktwirtschaftlicht“ würden und sich jede Tätigkeit in bezahlte Lohnarbeit verwandle. Van Dyk und Taubner kritisieren diese Sichtweise: Der Kapitalismus habe schon immer davon gelebt, dass gesellschaftliche Arbeit unbezahlt geleistet wurde: Familiäre und naturwüchsige soziale Bindungen haben bis in die 1950er Jahre das (Über-)leben der Lohnabhängigen Schichten gesichert. Ab da bis in die 70er Jahre wurden viele der Reproduktionstätigkeiten wie Pflege etc. über staatliche Institutionen als Lohnarbeit organisiert. Die u.a. aus steigender Frauenerwerbstätigkeit folgende Auflösung familiärer Bindungen stellte das Kapital vor das Problem, dass eine soziale Arbeit keinen unmittelbaren Mehrwert produziert, sondern über Steuern und Sozialversicherungsbeiträge aus dem Lohn bezahlt werden. Seit den 80er Jahren wird die staatliche Grundversorgung heruntergefahren, gekürzt, privatisiert und geschlossen. Um die entstehenden Lücken zu schließen, fördert der Staat seitdem das ehrenamtliche (also unbezahlte) Engagement. Neben finanziellen Ersparnissen bietet das Ehrenamt dem Kapital auch eine Legitimationsbasis – zeigt es so, dass es nicht nur den schnöden Mammon anbetet, sondern auch das Miteinander in der Gemeinschaft („community“) fördert. An die Stelle historisch entwickelter und quasi naturwüchsiger Verpflichtungen treten „wertebasierte“, also identitäre Gemeinschaften, die sich um das Gemeinwohl kümmern. Konservative und Rechte reagieren auf diesen Rückzug des Staates mit dem Bezug auf vermeintlich tradierte familiäre und nationale Identitäten, während „Fortschrittliche“ und Linke ihre Identität aus bewusst selbst gewählten und geteilten Werten herleiten. Alle Gruppenidentitäten grenzen sich allerdings von anderen ab – auch eine linke Selbstorganisation wird ihre Hilfe nur denjenigen angedeihen lassen, die ihre definierten moralischen Ansichten teilt.
Nur ein Staat bietet van Dyk und Taubners Meinung nach grundsätzlich eine tendenziell universale Versorgung und Hilfe an; zumindest dem Anspruch nach ist die Versorgung durch den Sozialstaat nicht daran gebunden, welche politische Überzeugung ich habe oder wie ungenießbar ich persönlich bin. Am Beispiel einiger Sektoren zeigt sie das Dilemma auf, dass gutgemeintes „bürgerschaftliches“ Engagement die bewusst gerissenen Lücken des Sozialstaates einfach nur füllt – und das auch noch unvollständig, da gerade die Ärmsten und „Schwierigsten“ aus dem Raster fallen. Zugleich ist dieses Engagement in staatliche Strukturen und Hierarchien eingebunden. Eine Kritik an dieser Einbindung finde auch in linken Kreisen kaum noch statt, die stattdessen einen identitären Aspekt und den der „Selbstorganisation“ überhöhen.
Wir wollen an Hand von Beispielen aus dem Buch die Mechanismen skizzieren, mit denen eine ganze Bandbreite von (schlecht) entlohnter bis zu nicht entlohnter Arbeit durchgesetzt worden ist und Fragen diskutieren:
Welche Probleme ergeben sich aus der Mobilisierung freiwilliger und gemeinschaftlicher Arbeit?
Welches sind die arbeitspolitischen Folgen der Informalisierung?
Führt informelle und freiwillige Arbeit tatsächlich zu mehr Autonomie?
Wie stabilisieren diese Arbeitsformen gesellschaftliche Ungleichheit?
Wie lassen sich ehrenamtliche Strukturen politisch instrumentalisieren?
Das neue Jahr hat angefangen, aber es geht weiter mit der „Neuen Normalität“. Es gäbe viele Themen, über die wir gerne diskutieren würden, aber noch immer überwiegt Corona alles. Wir hoffen, dass das nicht so bleibt!
moderner „kreativer“ Heimarbeiter
Der Kolumnist Helmut Höge hat Ende Dezember auf eine interessante Folge des Home Office – Booms hingewiesen: Das epidemische Problem der „ZOOM- Faces“. Immer mehr jungen und nicht mehr ganz jungen Menschen fällt auf, dass ihr Bild bei Videokonferenzen sehr unvorteilhaft aussieht. In den USA werden – Corona zum Trotz – so viele kosmetische Operationen wie noch nie durchgeführt und Botox tonnenweise verkauft. In Deutschland sei das Umgehen immer noch stärker pädagogisch geprägt, man versuche sich in psychologischer Anpassung an eine verquere Umwelt. Da sieht er Parallelen zum zwangsweisen Anpassen der Ostdeutschen in den 90er Jahren: Sie wurden in unzähligen Videokursen „fit“ für die (westliche) Realität gemacht, in der es nur um den Verkaufsfaktor geht und die Persönlichkeit keine Rolle spielt. (Amerikanisierung. Junge Welt, 29.12.2020) Über den Hinweis auf diese sehr speziellen Probleme sind wir nur gestolpert, weil wir in einem anderen Zusammenhang an die Problematik von Heimarbeit, auch: Home Office, gestoßen sind. Und zwar die Frage, wie wir uns organisieren sollten, wenn persönliches Zusammenkommen geächtet wird: Seit einigen Wochen erhält eine Internetkampagne namens ZeroCovid recht viel Aufmerksamkeit (Link zum Aufruf: https://zero-covid.org/ ) . Kerngedanke ist es, den Lockdown auf alle „gesellschaftlich nicht dringend erforderlichen Bereiche“ der Wirtschaft auszudehnen und das ganze „selbstbestimmt“ und „solidarisch“. Der Lockdown solle nicht von oben durchgesetzt, sondern von unten in den Betrieben „gestaltet“ und umgesetzt werden. Staat und Unternehmer sollen dann für den Erhalt des Lebensstandards der Beschäftigten und darüber hinaus „aller“ Menschen garantieren plus das Gesundheitswesen ausbauen. Damit schwebt den Initiatoren offensichtlich so etwas wie ein europäischer Generalstreik zum Gesundheitsschutz vor. Nachdem die Infektionszahlen auf nahezu Null heruntergegangen sein würden, könnten die Einschränkungen vorsichtig gelockert werden. In der Zeit danach reichten eine „Kontrollstrategie“ und „energische Eindämmung“ regionaler Ausbrüche. Die Künstler und Akademiker, die die Petition initiiert haben, wollen so eine Strategie formulieren, die die Maßnahmen der Regierung aus einem Blickwinkel der „Solidarität“ kritisiert, um sich von „Querdenkern“ abzusetzen:
Ppapierblumen sortieren, New York, 20er Jahre
„Demokratie ohne Gesundheitsschutz ist sinnlos und zynisch. Gesundheitsschutz ohne Demokratie führt in den autoritären Staat. Die Einheit von beidem ist der entscheidende Schlüssel zu einer solidarischen ZeroCovid-Strategie“
Manches davon hört sich auf den ersten Blick ganz sympathisch an – aber wie sieht das im Detail aus, wie müssen wir uns die geforderte „Pause“ vorstellen?
1) Zunächst soll es ja um einen selbstbestimmten Generalstreik gehen. Gut. Aber wer soll den Generalstreik organisieren, wenn man sich nur noch im Internet trifft / treffen darf? Es ist realitätsfern, zu glauben, dass das soziale Miteinander im Alltag entbehrlich ist. Gerade dann, wenn man gegen den Chef etwas durchsetzen will und unter Druck steht. Die einzigen, die in dieser Vision als Handelnde überbleiben, sind gewerkschaftliche und behördliche Verwaltungsapparate. Mit Selbstbestimmung hat das nichts zu tun.
2) Welches sind die „gesellschaftlich dringend erforderlichen“ Bereiche der Wirtschaft und welche fallen nicht darunter? Klar, Luxuskonsumwaren braucht man nicht unbedingt – vor allem, wenn man sie sich eh nicht leisten kann. Kreuzfahrten und die Harley Days auf der Reeperbahn kann man auch aussetzen, ebenso Schönheitsoperationen und Friseurbesuche. Aber dann wird es schon schwierig; auf eine gesellschaftliche Infrastruktur kann man nicht längere Zeit verzichten: Essen muss produziert, transportiert und verteilt werden. Müll muss entsorgt, Strom und Wärme produziert werden. Kleidung ist im Winter auch nicht schlecht. Krankenversorgung braucht viele Hilfsmittel und Apparaturen. Die müssen gewartet werden und es braucht Ersatzteile, usw. usf. Es lassen sich kaum ganze überflüssige Bereiche ausmachen. Tatsächlich gibt es viele Tätigkeiten, die überflüssig sind. Wie könnte man die Arbeitskraft von Polizisten, Soldaten und Immobilienmakler gesellschaftlich sinnvoll einsetzen, statt die einen auf die Jagd auf Maskensünder zu schicken und die anderen bezahlt zu Hause sitzen zu lassen?
3) Stellen wir uns doch die Frage, welche Tätigkeiten gesellschaftlich wichtig sind und wie die im Interesse des Gesundheitsschutzes gestaltet werden sollten. Daraus ergäben sich Fragen, wie die unverzichtbare Arbeit gestaltet werden sollte. Da ist „Abstand halten“ zu Kollegen vielleicht eine Möglichkeit, aber sicherlich nicht die einzige. U.U. könnte das Arbeitstempo heruntergefahren, die Arbeitsteilung zurückgenommen werden o.a. Darüber sollte in den Betrieben eine Diskussion angeregt werden!
Böhmische Zigarrendreher, ca. 1890
4) Zurück zur Petition: Irgendwann steckt sich niemand mehr an, weil die Menschen sich nicht mehr treffen. Gut, alsdann sollen Kontrollstrategien und energische Eindämmung greifen. Was heißt das, wenn nicht staatliche Zwangsmaßnahmen: Kontrolle der sozialen Kontakte („Kontaktverfolgung“) und Quarantäne / Isolation. Entweder Isolation einzelner potenziell ansteckender Menschen oder präventive Isolation bestimmter Regionen. Tja, geht das noch „selbstbestimmt“?? Was passiert, wenn Menschen sich weigern, ihre Kontakte preiszugeben oder nicht in Isolation gehen wollen? Wer setzt Grenzen zwischen Ländern oder Regionen durch? Wie verträgt sich das mit der Forderung nach offenen Grenzen?
5) Der Staat sorgt für die Finanzierung, indem er Steuern auf hohe Vermögen und Einkommen erhebt. Welcher Staat? Schließlich geht es ja um ganz Europa. Also die EU oder die einzelnen Nationalstaaten mit ihren sehr unterschiedlichen Ressourcen. Irgendwie verteilen soll „er“ (welcher Staat auch immer) das auch, aber unter dem Druck selbstbestimmter und -organisierter Menschen …
„Hört auf die Wut des Volkes“ – Generalstreik 2010 in Le Havre, Frankreich, 2010
Wenn wir aus dieser Kampagne einen positiven Gedanken ziehen wollen, dann den, dass der Widerspruch zwischen sozialer Isolation im privaten Bereich und Weiterlaufenlassen der Wirtschaft sowie die sozialen Ungerechtigkeiten thematisiert werden. Es täte allerdings besser, über diese Widersprüche in der Welt um einen herum offen zu diskutieren, statt Antworten vorzugaukeln, die keine sind!
Als ab März die Horrormeldungen aus Spanien und Italien rumgingen, ist wohl kaum jemand unberührt geblieben. Die Angst vor einer individuellen Ansteckung mit der Krankheit hat erstmal alles andere in den Hintergrund gerückt. Kurzarbeitergeld und staatliche Hilfen haben die Angst vor Einkommensverlusten für viele gemildert. Dann griff die Angst vor den politischen Maßnahmen um sich, die auch der deutsche Staat ergreift, um die Krise beherrschen zu können. Heute wiederum drängt sich langsam, zwar nicht überall, aber in vielen Betrieben, die Angst vor dem eigenen wirtschaftlichen Absturz in den Vordergrund: vor Entlassungen, Lohnkürzungen und mehr Arbeit in weniger Zeit.
Ständig in Angst zu leben, ist nicht schön, sie lähmt; Wenn wir hinter unseren Ängste etwas Positives finden wollen, können wir in ihnen vielleicht einen Wunsch nach gesunden und sozial gerechten Lebensbedingungen und einen nach gesellschaftlicher Selbstbestimmung entdecken. Nur wie können solche Ziele in der Falle zwischen Krankheit, ökonomischen und politischen Zwängen formuliert und durchgesetzt werden?
Wir fragen uns, wie sich die Situation in den Betrieben nach einem halben Jahr „Corona- Notstand“ und vor dem Auslaufen staatlicher Sicherungsmaßnahmen und der zu erwartenden Verschärfung der wirtschaftlichen Krise im Herbst heute darstellt.
Grob gesagt, geht es uns darum, nachzufragen,
welche Maßnahmen von Betrieben getroffen wurden, um das Ansteckungsrisiko und Ausfälle zu vermindern,
ob und wie diese Maßnahmen von den Betrieben als Möglichkeit zur Rationalisierung dauerhaft beibehalten werden sollen und
wie diese Maßnahmen die Möglichkeiten der Arbeitenden, sich gegen den wirtschaftlichen Druck der Unternehmer zu wehren, beeinflussen.
Wir wollen eine Umfrage starten, um eine Idee davon zu bekommen, an welcher Stelle die größten und drängendsten Schwierigkeiten bestehen. Es hat sich mancherorts viel verändert: So hast du bspw. Kurzarbeit oder Home Office möglicherweise als Chance erlebt, der Ansteckungsgefahr im Betrieb zu entkommen. Wenn man dann alleine zu Hause sitzend die Kündigung oder die Nachricht von betrieblichen Umstrukturierungen erhält, können einem die Kollegen und Kolleginnen fehlen. Oder dir können die Maßnahmen zur räumlichen und zeitlichen Isolierung (wie versetzte Schichten, Kontaktverbote etc.) auf die Füße fallen, weil sie anfangs vielleicht einen gewissen Ansteckungsschutz versprachen, aber heute verhindern sie eine gemeinsame Verständigung mit den Kolleginnen und Kollegen, wie man zusammen die Arbeitsbedingungen verbessern kann oder schlicht Betriebsschließungen verhindern kann.
Besonders krass ist es dort, wo ausländische Arbeiterinnen und Arbeiter zu niedrigen Löhnen arbeiten und wenn Infektionen auftreten – Quarantänemaßnahmen verhindern, dass sie inner- und außerhalb des Betriebes zusammenkommen und sich Gehör verschaffen.
Diese Umfrage sollte nicht virtuell bleiben, sondern in persönlichen Interviews und Gesprächen vertieft und ihre Ergebnisse hoffentlich auch in öffentlichen Veranstaltungen gemeinsam diskutiert werden. Dort könnten dann auch Ideen entwickelt werden, wie wir gemeinsam praktisch – im Rahmen unserer Möglichkeiten – handeln können.
Also haben wir haben uns ein paar Angebote ausgedacht und rufen euch auf, mitzumachen:
die Möglichkeit, Kontakt mit uns aufzunehmen und ein persönliches Gespräch zu führen. Wir können verabreden, ob und wie wir das in einer…
Sammlung von Berichten / Interviews aus Betrieben veröffentlichen. Selbstverständlich nur in einer Form, die ihr selber wünscht und selbstverständlich anonymisiert!
Einen ersten Anfang haben wir mit drei Übersetzungen von Interviews aus London vom Blog „Let’s get rooted“ gemacht (https://letsgetrooted.wordpress.com).
1965 veröffentlichte der Liedermacher Franz Josef Degenhardt das Lied „Spiel nicht mit den Schmuddelkindern“. Es ging ihm Mitte der 60er Jahre um die verlogene Nachkriegsgesellschaft: Ein Junge aus vielleicht besserem Hause, der viel lieber bei den Kindern der armen Nachbarschaft spielt, jedoch von seiner Familie gezwungen wird, auf das Gymnasium zu gehen und den gesellschaftlichen Aufstieg zu schaffen. Dem beugt er sich schließlich, wird verbittert und tritt aus Selbsthass gegen seine ehemaligen Spielkameraden.
Das hat nichts mit Viren und Epidemien zu tun, aber einen Anknüpfungspunkt an die aktuelle Situation bietet sich doch: Die Gefahr, dass die geforderte „Soziale Distanzierung“ auch tatsächlich als eine soziale, also gesellschaftliche Distanzierung wirkt.
Wir haben uns ein paar Gedanken zu anstehenden zweiten Phase der „Corona- Krise“ gemacht. Leider müssen wir momentan auf eine öffentliche Debatte verzichten, aber ihr seid herzlich eingeladen, euch zu äußern, eure Gedanken mitzuteilen – auch Kritik!
Da der Text etwas länger ist (sechs Seiten), haben wir ihn als PDF- Datei bereitgestellt.
Wie alle anderen müssen auch wir unsere öffentlichen Veranstaltungen bis auf Weiteres absagen.
Wir sind durchaus zwiegespalten; erhöhte Sensibilität angesichts einer durchaus ernsthaften Krankheitswelle ist wichtig. Auf der anderen Seite gibt es auch ein großes Bedürfnis, die gesellschaftliche Situation zu diskutieren, um nicht in Panik zu verfallen.
Letztendlich geht es nicht nur um ein individuelles Erkrankungsrisiko, sondern auch um die sozialen Auswirkungen eines Wirtschaftssystems, das auf einer immer stärkeren Polarisierung beruht und nun droht, vollends zu kollabieren. Wenn es lediglich auf ein „Weiter so!“ hinausläuft, sind es bestimmt nicht die Brüder Aldi oder Friedel Merz, die Angst um ihr Überleben haben müssen! Die „große Politik“ spiegelt sich auch im Kleinen, im Alltag und im Betrieb wider: Wer ein Häusken mit großem Garten, einen Verwaltungsjob und ein gutes Einkommen hat, macht Home Office, fürchtet keine Ausgangssperre und lässt sich von bediensteten Paketboten alles Notwendige auf die Garageneinfahrt legen. Wer in einer engen Mietwohnung lebt, Handarbeit leisten muss und ein unsicheres Einkommen hat, muss zur Arbeit kommen, mit vielen in einer Halle zusammen oder in Kundenkontakt arbeiten und fühlt sich vielfach noch von den Kollegen und Vorgesetzten im Büro getriezt, weil die alles Risiko auf ihn abschieben. Oder er oder sie kann wochenlang mit den Kindern in der kleinen Wohnung zubringen.
Sozialer Kontakt ist notwendig!
Aus diesem Grund haben wir einige Gedanken formuliert.
Zum ersten die medizinischen Erkenntnisse – relativ verbreitet sind die virologischen, d.h. das Wissen über den unmittelbaren körperlichen Ablauf, den eine Infektion beim Einzelnen hervorruft. Wenig bekannt ist dagegen das epidemiologische (Nicht-)Wissen über die gesellschaftliche Ausbreitung, ihre Wege und Voraussetzungen.
Der Link zu unserem Text zu diesem Thema hier: hier!
Zum zweiten die fast noch wichtigere Diskussion um die gesellschaftlichen Entwicklungen, die durch das Virus nicht hervorgerufen worden sind, sondern nur eine enorme Beschleunigung erfahren haben. Das ist der Punkt, über den wir uns austauschen müssen!!
Wir würden uns freuen, wenn der eine oder die andere Interesse hätte, und sich bei uns melden würde, entweder über die Kommentarfunktion oder über die Emailadresse: laiens.club@gmx.de
Oskar Negt: „Soziologische Phantasie und Exemplarisches Lernen“ in der Arbeiterbildung
Dienstag, 28.Januar 2020
19.30 Uhr
Mieterpavillon, Friedrich-Naumann-Str.7
In der ersten Veranstaltung nach dem Jahrzehntwechsel knüpfen wir an frühere Veranstaltungen an, wie etwa an die über das Theater der Befreiung oder über Identitätspolitik.
Wir wollen uns damit beschäftigen, wie eine emanzipative Arbeiterbildung aussehen könnte.
Alles, was wir erleben, interpretieren wir; dabei greifen wir auf (in der Schule, in der Familie …) teils bewusst, teils unbewusst gelernte Erklärungsmuster zurück. Zudem diskutieren wir mit anderen über unsere Erlebnisse. Lernen ist also zum einen ein ständiger und zum anderen ein kollektiver Prozess. Allerdings verläuft Lernen selten gradlinig und noch seltener widerspruchsfrei. Und: Unsere Umwelt verändert sich ständig. Deswegen kann das, was wir in der Vergangenheit gelernt haben und stimmig war, heute schon überholt sein. Ein anderer Aspekt ist die oft fehlende Übereinstimmung von Denken/Erkenntnis/politischer Überzeugung und Handeln. Häufig handeln wird anders, als wir eigentlich wollen oder sollten und strampeln uns tiefer in den Morast, statt herauszukommen.
Die Frage ist: Wie können wir Lernprozesse so gestalten, dass wir unter Einbeziehung unserer Erfahrungen von gestern, Antworten auf die Fragen von heute finden können und wie können wir eine bewusste Haltung oder einen Standpunkt zu den Dingen, politischen Fragen, gesellschaftlichen Problemen entwickeln, die in Übereinstimmung mit unseren politischen Überzeugungen steht?
Die gesellschaftlichen Fragen, denen wir uns stellen müssen, tauchen vorrangig in Bezug auf die Arbeit auf: Arbeit ist im persönlichen Leben ein und im gesellschaftlichen Leben der zentrale Bereich. Gemeinsames Lernen, wie wir uns als Lohnabhängige auf der Arbeit verhalten oder verhalten sollten, steht im Zentrum aller Bemühungen um eine Umgestaltung der Welt.
Nun stehen dort Gewerkschaften für den Anspruch, die Interessen der Lohnabhängigen zu organisieren. Sie machen heute vor allem Rechtsschulung für Betriebsräte oder Organizing-Training. Damit bieten sie praktische Handreichungen, um sich den Unternehmern gegenüber besser behaupten zu können. Braucht es mehr?
Wir denken: „ja!“, denn, was über diese, auf den Arbeitsplatz eingegrenzte Betrachtung verloren geht, ist, dass die dort auftretenden Konflikte essenziell mit Konflikten in anderen gesellschaftlichen Bereichen verbunden sind: Der Lohn ist niedrig und die Miete (in Relation dazu) zu hoch, eine zu große Arbeitsbelastung lässt uns zuhause die Nerven verlieren,sodass wir Krach mit dem Partner / der Partnerin bekommen, wir wollen uns qualifizieren und die Mitbewerber auf dem Arbeitsmarkt ausstechen, beklagen jedoch gleichzeitig den Verlust von Kollegialität und vieles mehr.
Um den Zusammenhang zwischen all diesen Faktoren zu erkennen und diese Erkenntnis in Handlung zu übersetzen, müssen wir uns gemeinsam Gedanken machen: das heißt „(Arbeiter-)Bildung“.
Um einen Einstieg in dieses Thema zu bekommen, greifen wir auf Anregungen aus dem in den 70er Jahre viel diskutierten Buch „Soziologische Phantasie und exemplarisches Lernen. Zur Theorie und Praxis der Arbeiterbildung“ des Soziologen Oskar Negt zurück. Es erschien 1968, basiert aber auf Texten, die Negt ab den frühen 1960er Jahren als Mitarbeiter in der Bildungsabteilung der IG Metall geschrieben hat.
Was können wir davon mitnehmen, um etwa im Rahmen des Laien’s Clubs oder woanders besser, konstruktiver und unvoreingenommener miteinander diskutieren zu können? Also vor allem, ein offenes Gespräch zu ermöglichen und nicht, eine fertige Überzeugung zu verbreiten!
Eine Zusammenfassung einiger Kerngedanken von Negt gibt es hier: Negt_Einfuehrung
Buchvorstellung und Film: Betriebsbesetzung des Zementwerkes Seibel & Söhne im westfälischen Erwitte im Jahr 1975
Dienstag, 26.11.2019, 19.30 Uhr im Mieterpavillon, Friedrich-Naumann-Str.7
Wer quält uns auf der Arbeit?
– Die Chefs und die Hierarchie
– Der Markt, der uns zwingt, uns unseren Kollegen gegenüber als Konkurrenten auf dem Arbeitsmarkt zu verhalten
Wäre es nicht schön, wenn wir unser Leben gemeinsam organisieren würden und zusammen zu beschließen, was wir brauchen und wie wir das herstellen?
Das ist sozusagen die geschichtliche „große Frage“ nach dem Sozialismus: Eine Gesellschaft, in der es kein Privateigentum gibt und die Menschen selbstbestimmt arbeiten. Dass wir noch nicht in solch einer Gesellschaft leben, hat weniger mit einem göttlich bestimmten oder vom Gen-Code diktierten „Wesen des Menschen“ zu tun, als vielmehr mit den großen Schwierigkeiten, die zu lösen sind:
– Wie stellen wir uns in einer Weltgesellschaft einen Entscheidungsprozess über das vor, was gebraucht wird?
– Wie sollten globale Produktionsprozesse gemeinsam organisiert werden?
In kleinen Lebenseinheiten, in der Familie, einem Stadtviertel oder Dorf oder einem überschaubaren Betrieb ist es zwar schwer, sich zu einigen, Rücksicht zu nehmen, u.U. zugunsten anderer zurückzustecken, es ist aber vorstellbar. Jedoch im Großbetrieb, einer Stadt, einem Kontinent, der Welt?? Fragen der Kommunikation müssen gelöst werden. Die Arbeitsteilung, aus der sich Hierarchien entwickeln, muss in Frage gestellt werden. Verbindlichkeiten müssen eingegangen werden u.v.m.
In den bisherigen Revolutionsversuchen der letzten 150 Jahre standen sich oft zwei unterschiedliche Lösungsansätze gegenüber:
Zum einen sog. „syndikalistische“ Ansätze; die deutsche Bezeichnung „Syndikalismus“ kommt vom französischen Wort „syndicat“, das seit dem 19.Jahrhundert einen Zusammenschluss von Arbeitern und Arbeiterinnen sowohl auf lokaler, als auch auf betrieblicher Ebene meinte. Es geht also über die heutige Gewerkschaft hinaus. Nach dem Ersten Weltkrieg gab es auch in Deutschland eine starke syndikalistische Massenbewegung vor allem im Ruhrgebiet und in Thüringen. Sie setzte sich für einen freiwilligen Zusammenschluss der Arbeiter ohne eine zentralistische Verwaltungsstruktur und für eine lokale und betriebliche Selbstverwaltung ein. In diesem Zusammenhang gab es einige Betriebsbesetzungen und Versuche, bspw. Bergwerke und Stahlproduktion selbstorganisiert weiterzuführen.
Demgegenüber haben sich historisch die Ansätze durchgesetzt, die auf eine staatliche Verwaltung, also die Planwirtschaft setzten. Das ist spätestens 1989 zusammengebrochen und heute regiert wieder der „freie Markt“…
Arbeiter und Arbeiterinnen setzen jedoch auch immer wieder auf einer „kleinen Ebene“ das Mittel der Betriebsbesetzung ein. Oft war und ist es ein Weg des Überlebens in Krisenzeiten, wenn sich die Besitzer vorübergehend aus dem Staub gemacht haben, um sich nicht weiter um „ihre“ ArbeiterInnen kümmern zu müssen und fälligen Schulden zu entgehen. ArbeiterInnen übernehmen den Betrieb und führen ihn in eigener Regie weiter.
So bspw. seit 2012 bei der griechischen Kooperative Vio.me in Thessaloniki (Link zur deutschen Webseite) oder die seinerzeit zu Unilever gehörende Teeverpackungsfabrik Fralip in Gemenos bei Marseille (Link zur Artikelsammlung bei Labournet). Beide wurden nach harten Arbeitskämpfen von den ArbeiterInnen übernommen.
In anderen Situationen setzen Arbeiter und Arbeiterinnen die Besetzung ein, um den juristischen Eigentümer zu „erpressen“. Damit sind wir endlich bei der Besetzung des Zementwerkes Seibel & Söhne und im Jahr 1975!!
Näheres in einem Artikel der Zeitschrift „Graswurzelrevolution“ Nr. 396: „Provinzielle Arbeiter gegen Parvenue-Kapitalist! Vor 40 Jahren fand in Erwitte der längste Firmenstreik in der Geschichte der BRD statt (…)“ (hier der Link zum Artikel)
Wir wollen das Buch von Dieter Braeg inkl. einiger Filmdokumente vorstellen und anhand dieses und anderer Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit diskutieren, was wir in der oben angebeuteten „großen“ oder auch der „kleinen“ Perspektive von Betriebsbesetzungen halten!
Artikel über vergangene oder laufende Betriebsbesetzungen (zu ergänzen!)
Lip oder die Macht der Fantasie. Ein Lehrbeispiel für Kommunikation und Demokratie
Buchvorstellung „Wilder Streik – Das ist Revolution. Der Streik der Arbeiterinnen bei Pierburg in Neuss 1973“ von Dieter Braeg und Dokumentarfilm (Regie: Edith Schmidt, David Wittenberg)
13. August 1973: Weil sie trotz harter Akkordarbeit nach der untersten Lohngruppe 2 bezahlt werden (4,70 DM pro Stunde), starten die migrantischen Arbeiterinnen bei dem Neusser Vergaserhersteller Pierburg für fünf Tage einen »wilden Streik«. Von den insgesamt 3800 Beschäftigten sind 70 Prozent Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter, die Mehrzahl davon Frauen. Die Arbeitsmigrantinnen demonstrieren gegen die unterschiedliche Bezahlung von Männern und Frauen, fordern »Eine Mark mehr« und treten insgesamt für bessere Wohn- und Arbeitsbedingungen ein. Nach und nach schließen sich die deutschen Kolleginnen an, und die Stimmung auf dem Pierburg-Gelände erlangt zuweilen Festcharakter. Erst als klar wird, dass die Streikenden dabei sind, die gesamte deutsche Automobilindustrie lahmzulegen, kommt es zu ernsthaften Verhandlungen zwischen Belegschaft und Werksleitung: die Leichtlohngruppe 2 wird abgeschafft, der Lohn erhöht.
Der Film dokumentiert den Streik. Edith Schmidt-Marcello und David H. Wittenberg haben das Material, das während des Streiks von unterschiedlichen Akteurinnen vor Ort gedreht wurde, in Absprache mit den Streikenden montiert und mit eigenen Filmaufnahmen ergänzt.
ergänzende Texte:
Wilder Streik bei Pierburg: Freudentänze mit Facharbeitern
14. August 2018
Vor 45 Jahren traten die Arbeiterinnen der Neusser Vergaserfabrik Pierburg in den Ausstand. Der damalige stellvertretende Betriebsratsvorsitzende erinnert sich an einen der legendärsten Streiks der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte
Dieter Braeg arbeitete von 1971 bis 2004 beim Automobilzulieferbetrieb Pierburg in Neuss. Hier war er zehn Jahre im Betriebsrat tätig. Zum vierzigsten Jahrestag des Pierburg-Streiks hat er einen Sammelband mit historischen Dokumenten zum Streik von 1973 herausgegeben.
Dein Buch über den Arbeitskampf bei Pierburg heißt »Wilder Streik – Das ist Revolution«. Was hat es mit dem Titel auf sich?
Der Titel geht auf eine Aussage des damaligen Polizeidirektors von Neuss gegenüber einem Journalisten zurück. Mit dem Verweis auf den »revolutionären Charakter« des Streiks versuchte er, die brutalen Übergriffe der Polizei gegen die Arbeiterinnen zu rechtfertigen. Bereits unmittelbar bei Streikbeginn zur Montagsfrühschicht um sieben Uhr hetzte die Firmenleitung über Notruf die Polizei auf die Arbeitsunwilligen vor den Werktoren. Die setzte Knüppel gegen die Kolleginnen ein. Die Staatsmacht schätzte die Streikbewegung als so gefährlich ein, dass sie bereit war mit repressivsten Methoden dagegen vorzugehen.
(…) Link zum kompletten Artikel
Link zu Sonderseite zum Buch und Film bei Labournet Deutschland, mit Rezensionen, Filmausschnitten etc.
Zwei Links (Pierburg_Interview_1 und Pierburg_Interview_2) zu einem Abschnitt aus seinem Buch: „Das wichtigste ist, dass eine Gesamtbelegschaft ein gemeinsames Interesse hat“. Unter dem Titel verbirgt sich ein langes Interview mit ihm über seine Erfahrungen als Betriebsrat und politisch Aktiver bei Pierburg; es geht schwerpunktmäßig um die „Gastarbeiter(innen)“, deren Lebens- und Arbeitssituation, deren politischen und alltäglichen Widerstandsformen und um die Auseinandersetzungen innerhalb der gesamten Belegschaft und die Haltung der Gewerkschaft. U.a. mehr. Sehr lesenswert!