Diskussionsveranstaltung
Dienstag, 25.Februar 2020 – 19.30 Uhr
Mieterpavillon: Friedrich-Naumann-Str. 7
Wenn wir von Krankheits-Prävention hören, erzeugt das bei den meisten von uns positive Assoziationen. Was könnte auch besser und sinnvoller sein, als Krankheiten zu vermeiden? Und liegt es nicht auf der Hand, dass Nichtrauchen, Obst essen und Bewegung an der frischen Luft besser sind als Bier trinken, Chips futtern und auf dem Sofa abhängen? Es scheint so, aber …
Gesundheitsrisiken sind kein individuelles Problem
Warum glauben wir, dass ein Apfel am Tag gesund hält, aber nicht, dass das Kohlekraftwerk vor der Haustür unsere Gesundheits-Bemühungen konterkariert? Warum sind wir im Krankheitsfall so eifrig darin, immer zuerst nach individueller Schuld zu suchen? Vielleicht, weil wir die Hoffnung haben, dass das, was individuell verschuldet worden ist, auch individuell wieder zu beheben ist? Gibt uns die Idee von Eigenverantwortung – zumindest gedanklich – unsere Autonomie wieder und ist sie deshalb so attraktiv?
Die mediale Präsentation von Risiken …
unterstützt und fördert die Einstellung, dass Gesundheit individuell herstellbar ist. Uns begegnen Aussagen wie „80 Prozent aller Krankheiten sind ernährungsbedingt“ oder wir lesen, dass durch eine gesündere Lebensweise, bis zu 90 % aller Diabeteserkrankungen, bis zu 80% aller Herzinfarkte und rund 50 % aller Schlaganfälle vermieden werden könnten. Abgesehen davon, dass diese Erkenntnisse wissenschaftlich nicht belegt sind, können wir selten oder nie lesen, dass die nicht-individuellen Einflüsse sich weitaus deutlicher bemerkbar machen. Die Lebenserwartung von Männern mit geringem Einkommen ist im Vergleich zu Männern der höchsten Einkommensgruppe neun Jahre kürzer. Bei den Frauen beträgt der Unterschied zwischen niedrigster und höchster sozialer Statusgruppe „nur“ vier Jahre. Auch die zu erwartenden gesunden Lebensjahre hängen mit dem sozialen Status zusammen: Arme Menschen leben nicht nur kürzer, sondern sind auch früher chronisch krank oder behindert.
Was macht eigentlich die (Gesundheits-)Politik?
In auffälligem Gegensatz zum lauten Präventionsgeschrei stehen die Veränderungen im Gesundheitssystem: Im Windschatten des Präventionshypes werden Arbeitnehmerbeiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung erhöht, während die Arbeitgeberbeiträge unangetastet bleiben, es werden Krankenhäuser und Kliniken geschlossen, die pflegerische Versorgung ist nicht mehr gewährleistet, Leistungen werden aus dem GKV-Katalog gestrichen und immer wieder werden Anläufe gemacht, um „gesundheitsriskantes Verhalten“ durch erhöhte Zuzahlungen abzustrafen.
Sollen unsere Präventionsbemühungen vielleicht dazu beitragen, die eigentlich notwendige Versorgung überflüssig zu machen – zumindest ideologisch, denn real wird dies nie gelingen.
Doch nicht nur im Gesundheitssystem, sondern auch an anderen gesellschaftlichen Orten, scheint Prävention und Gesundheit nicht ganz so groß geschrieben zu werden: Die Zahl der Autos zeigt keinerlei rückläufige Tendenz, am 1. Januar 2019 wurde mit 47 Mio zugelassenen PKW der höchste Bestand aller Zeiten dokumentiert – die durch den Autoverkehr entstehenden Luft- und Lärmemissionen stehen in engem Zusammenhang mit Herz-Kreislauferkrankungen sowie Diabetes (und wahrscheinlich weiteren Krankheiten), die Anzahl der Menschen, die Schicht-, Wochenend- und Nachtarbeit machen müssen, steigt beständig, obwohl nachgewiesen ist, dass unregelmäßige Arbeitszeiten anfällig für körperliche aber auch seelische Erkrankungen machen, Leiharbeit nimmt beständig zu – auch hier sind deutliche negative Effekte auf die Gesundheit nachgewiesen … die Liste ist schier unendlich.
Die Fokussierung des individuellen Risikoverhaltens führt letztendlich nicht nur zur bereits angesprochenen Entsolidarisierung, sondern sogar dazu, dass sich die sozialen Unterschiede im Gesundheitsstatus noch vergrößern: Von individuellen Maßnahmen, wie z.B. dem Verzicht des Rauchens, profitieren die höheren Einkommensschichten deutlich mehr, als die niedrigen. Das heißt: Gleiches Verhalten (Nichtrauchen) wirkt sich unterschiedlich auf die Lebenserwartung aus.
Was macht Prävention mit uns?
Wir wollen uns heute aus verschiedenen Blickrichtungen damit beschäftigen, welche Auswirkungen diese Fokussierung auf individuelle Risiken – die ja immerhin nur Krankheitswahrscheinlichkeiten darstellen – auf unser Denken und Handeln hat. Gräbt sich die hinter allem stehende Parole „Fit bleiben, bis der Bestatter kommt“ nicht auch in unser Denken und Handeln in ganz anderen Bereichen ein? Nehmen wir mit der Aufgabe, täglich 10.000 Schritte zu tun vielleicht gleichzeitig auch den neoliberalen Auftrag an, dass jeder seiner Gesundheit eigener Schmied ist, ohne dass uns dies bewusst wird? Und: Führt dies nicht zu einer Entsolidarisierung, weil wir vielleicht doch immer zuerst nach der individuellen Schuld suchen?
… und wie könnte eine positivere Variante aussehen?
Was am Präventionsgedanken ist nützlich und sinnvoll? Prüfen wir ihn gemeinsam auf seine Eignung zur solidarischen Verbesserurng der Gesellschaft und unseres eigenen Lebens.